Egal, ob Windows, Linux oder MacOS: Ein vollwertiges Betriebssystem auf dem iPad wäre ein Traum. Leider verbaut Apple jede Möglichkeit zur Installation. Dafür gibt es aber einen praktischen Workaround, mit dem Sie das Apple-Tablet trotzdem wie einen vollwertigen Notebook verwenden können.
Apples iPad und iPad Pro sind ein wunderbares Stück Hardware. Doch an iPadOS scheiden sich nach wie vor die Geister: Die einen lieben die einfache Bedienung und die hohe Sicherheit, die anderen würden das teure Tablet aufgrund seiner an manchen Stellen immer noch sehr umständlichen Bedienung am liebsten in die Ecke feuern. Und das, obwohl sich in den letzten Jahren wirklich viel getan hat: Apple setzt vieles daran, iPadOS – zumindest auf iPads mit dem hauseigenen M-Prozessor, also dem iPad Pro und Air – als Betriebssystem-Alternative zu MacOS, Windows und Linux zu etablieren.
Die lästigen Einschränkungen wie App-Store-Zwang, fehlende Kommandozeile und unzureichende Entwickler-Optionen, keine Virtualisierung, um nur einige zu nennen, bleiben leider auch in aktuellen iPadOS-Versionen bestehen – und solange das so ist, ist das iPad eben keine echte Alternative.
Andere Betriebssysteme auf dem iPad
Bei jedem anderen Computer wäre die Lösung einfach: Gute Hardware plus nicht-so-gutes Betriebssystem gleich Betriebssystem-Alternative wählen. Dummerweise erlaubt Apple – anders als beim Mac – auf dem iPad keine Installation fremder Betriebssysteme und will nicht einmal das hauseigene MacOS erlauben – trotz inzwischen identischer Hardware-Basis. Der iPad-Käufer ist iPadOS also zunächst auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Alternativen, die in der Vergangenheit Chancen boten – etwa der x86-Emulator iBox sind längst Geschichte und Projekte wie PostmarketOS noch lange nicht soweit. Allerdings gibt es inzwischen trotzdem mehrere Optionen, zumindest Linux und Windows direkt und MacOS über einen Umweg mit dem iPad zu verwenden – und das mit erstaunlich geringem Aufwand.
Drei Möglichkeiten mit unterschiedlichem Schwierigkeitsgrad
Für die Flucht aus Apples Walled Garden gibt es derzeit drei Möglichkeiten, die den Betrieb von iPadOS-Alternativen auf dem iPad ermöglichen: Die simple Installation einer App, die Verwendung einer Virtualisierung oder Emulation über einen alternativen App-Store oder die Option, per Fernzugriff auf einen anderen Rechner zuzugreifen und auf diese Weise Desktop-Komfort am iPad zu genießen. Für keine dieser Varianten ist ein Jailbreak notwendig, alles funktioniert mit der aktuellen iPadOS-Version 15. Die einfachste Variante ist dabei – natürlich – die App.
Variante 1: Alpine-Linux auf dem iPad per App-Store-App
Obwohl Apple sich bei seinem App Store oft anstellt wie ein wild gewordener Türsteher, hat es die App iSH aus irgendeinem kuriosen Grund bis heute geschafft, sich im App Store zu halten – auch wenn die App hin und wieder verschwindet: Das als ganz offiziell als Linux-Shell bezeichnete Programm ist tatsächlich eine vollständige x86-Emulation mit der Möglichkeit, eine Linux-Kommandozeile auf dem iPad zu verwenden. In der iSH-App steckt allerdings ein fast vollwertiges Alpine-Linux.
Fast vollwertig, weil aufgrund der App-Store-Regeln und der technischen Basis Dinge wie grafische Benutzeroberflächen oder Emulatoren innerhalb der Linux-Emulation von iSH nicht möglich sind. Die Distribution zeichnet sich durch besondere Schlankheit und Effizienz aus und besitzt daher eine große Fanbase. Schön an der App ist, dass sie keine besonderen Anforderungen an die Leistung des iPads stellt und obendrein auf Apple-Silicon-Macs läuft: Ein älteres iPad mit iPadOS 11 (oder sogar iOS auf iPhone und iPod Touch) reicht völlig aus.
Die volle Kraft von iSH entfalten
Zunächst ist iSH tatsächlich „nur“ eine Shell für das iPad. Praktischerweise ist auch gleich der Paketmanager APK („Alpine Package Keeper“) an Bord, womit sich die Kraft des iSH-Linux entfaltet: Linux-Programme für die Kommandozeile können bequem innerhalb der App installiert werden, also zum Beispiel ein SSH oder sogar verschiedene Server. Wer etwas installieren möchte, gibt einfach apk add (Programmname), also etwa apk add opensshoder apk add samba, ein. Das Linux-Tool wird daraufhin in iSH installiert.
Ältere Versionen von iSH verwendeten standardmäßig – ein Zugeständnis an den App-Store-Regeln – eigene Paketquellen. Inzwischen ist das nicht mehr der Fall: Die App greift auf die Standard-Repositories von Alpine-Linux zurück, womit sich auch alle dort vorhandenen Anwendungen installieren lassen. Praktischerweise klinkt sich iSH auch direkt in die Dateien-App ein, wodurch der Datenaustausch und die Bearbeitung von Konfigurationsdateien deutlich erleichtert wird.
Nicht ganz Linux
Allerdings gibt es hier, wie zuvor erwähnt, Einschränkungen: Die grafische Benutzeroberfläche Gnome ist zwar installierbar, lässt sich aber nicht starten, da der X-Server in Linux nicht unterstützt wird. Dadurch sind auch andere grafische Anwendungen nicht möglich, sondern nur Tools auf Textebene. Trotzdem ist iSH die einfachste und schnellste Möglichkeit, Linux in der Kommandozeile auf dem iPad zu verwenden. Durch die Möglichkeiten der App gewinnt das iPad massiv an Nutzwert. Und falls sich Apple (wieder einmal) entscheiden sollte, iSH doch wieder aus dem App Store werfen, kann das Programm auch gleich über den alternativen App Store AltStore installiert werden. Womit wir bei der nächsten Möglichkeit wären.
Variante 2: UTM via AltStore
Der AltStore ist ein alternativer App Store für iPadOS und iOS. Anders als für Tools wie Cydia wird hierfür kein Jailbreak benötigt, der AltStore wird über das sogenannte Sideloading auf dem iPad eingerichtet. Der AltStore selbst enthält derzeit nur zwei Apps: Den Clipboard-Manager Clip und den Nintendo-Emulator Delta. Interessant wird AltStore durch den AltServer für MacOS, der es seit Version 1.5 erlaubt, Apps im IPA-Format direkt auf das iPad zu überspielen: Es gibt nämlich eine ganze Reihe von Apps, die entweder an den App-Store-Bedingungen gescheitert sind oder schlicht aus Prinzip hier nicht angeboten werden, darunter die Emulations- und Virtualisierungslösung UTM: Diese erlaubt die Installation eines vollwertigen Windows oder Linux auf dem iPad. Praktischerweise gibt es auch gleich eine ganze Reihe voreingerichteter virtueller Maschinen für die Anwendung.
UTM-App per AltServer schnell installieren
AltStore/AltServer beinhaltet leider ein wenig Nervenkitzel: Damit alles funktioniert, ist es notwendig, die Apple-ID samt Passwort einzugeben, und zwar sowohl bei der Installation, als auch beim Laden einer IPA-Datei: Das ist notwendig, damit die App auf dem jeweiligen iPad arbeiten kann. Die Entwickler versprechen Seriosität, AltStore selbst ist quelloffen, insofern sollte das Risiko gering sein. Aber wer auf Nummer sicher gehen will, richtet sich besser eine zweite Apple-ID für AltStore ein. Anschließend ist die Vorgehensweise denkbar einfach:
Die IPA-Datei von UTM gibt es auf der UTM-Entwicklerseite auf Github: Sie können sie einfach auf den Mac herunterladen und über den AltServer auf die oben beschriebene Weise auf das iPad packen.
UTM auf dem iPad nutzen
Ist UTM installiert, kann es auch schon losgehen: Nehmen Sie Ihr iPad zur Hand und starten Sie UTM. Leider limitiert die etwas spärliche RAM-Ausstattung der meisten iPads ein wenig die Möglichkeiten: Windows 10 und 11 sind erst auf dem iPad Pro M1 und neuer sinnvoll, da diese 8 Gigabyte RAM haben. Zudem ist die Installation ein wenig komplexer, da UTM die notwendigen Dateien natürlich nicht einfach zum Download anbieten kann.
Wer also Windows per UTM auf dem iPad nutzen möchte, muss ein wenig basteln und sich selbst eine Windows-Version per UUP-Dump zusammenstellen. Wie das geht, wird in der UTM-Galerie ausgiebig beschrieben. Einfacher geht es hingegen mit anderen Emulationen oder virtuellen Maschinen: Die UTM-Galerie enthält verschiedene Linuxe, die Sie direkt aus der App heraus auf dem iPad installieren können. Außerdem gibt es für Nostalgiker sogar eine MacOS 9.2.2-Maschine, die das iPad mit wenigen Handgriffen in einen klassischen Mac verwandelt.
UTM: Sinnvolle Spielerei
UTM ist immer dort sinnvoll, wo ein echtes Betriebssystem auf dem iPad vonnöten ist. Ein entsprechend potentes iPad ist dementsprechend Pflicht: Wir empfehlen mindestens Geräte der Pro-Serie seit 2017 oder das iPad Air 3 und neuer, da diese vier bis acht Gigabyte RAM oder mehr verfügen. Mit iPads mit weniger RAM sind Emulation und Virtualisierung aktueller Windows-Versionen mangels Arbeitsspeicher leider witzlos.
Ideal für den Windows-Betrieb sind natürlich die „dicken“ Pro-iPads mit Terabyte-Speicher: Diese haben serienmäßig 16 Gigabyte RAM an Bord, was für Windows 10 und 11 problemlos ausreicht. Trotz der Bastelei ist UTM die derzeit einzige solide Möglichkeit, eine tatsächliche Virtualisierung oder Emulation auf dem iPad zu starten, die sich im gewissen Rahmen auch für den Produktiveinsatz eignet. Übrigens gibt es UTM auch für Apple-Silicon-Macs, womit es sich als eine nützliche Alternative zu Parallels anbietet.
Variante 3: Fernzugriff statt direkter Installation
Die dritte Variante geht hingegen immer, mit jedem iPad: Sie können Windows, Linux und MacOS per Fernzugriff auf das iPad holen. Alles, was Sie dazu benötigen, ist ein normal installierter Mac oder PC und eine App auf dem iPad, die den VNC-Standard unterstützt. Innerhalb eines flotten WLANs können Sie so Desktop-Betriebssysteme direkt auf dem iPad verwenden, solange der PC läuft, was einer lokalen Installation in der Praxis dann schon sehr nahe kommt.
Der Clou: Mit den richtigen Einstellungen im Router können Sie auch über das Internet auf Ihr persönliches „Cloud-Betriebssystem“ zugreifen und vom iPad aus weltweit alle Funktionen eines stärkeren, vollwertigen Rechners verwenden, der in Ihren eigenen vier Wänden steht. Und natürlich läuft.
Welche Hardware wird benötigt?
Für das Fernzugriff-Szenario benötigen Sie außer Ihrem iPad natürlich noch einen Mac oder PC. Soll MacOS auf dem iPad eingesetzt werden, ist ein Mac zwingend notwendig, für alle anderen Betriebssysteme tut es auch einfachere und günstigere Hardware. Für Linux reicht schon ein kleines Gerät wie der Raspberry Pi. Wenn es Windows werden soll, ist natürlich ein PC sinnvoll: Hier können sie vom alten Desktop bis zum stromsparenden Mikro-PC im HDMI-Stick-Format, wie ihn etwa der chinesische Hersteller MeLE im Programm hat, zum Einsatz kommen.
PC oder Mac einrichten
Damit das alles funktioniert, müssen den Mac, PC oder Raspberry Pi zunächst ganz normal mit MacOS, Windows oder Linux aufsetzen. Dabei spielt es keine Rolle, ob Sie die Systeme direkt oder als virtuelle Maschine, etwa mit Virtual Box aufsetzen. Der Rechner, auf dem das Fernzugriff-Betriebssystem läuft, sollte übrigens per Ethernet-Kabel am Router angeschlossen sein: So kann sichergestellt werden, dass er per Wake-on-LAN aus dem Standby aufwacht, wenn er benötigt wird und sich andernfalls wieder schlafen legt. Denn der Rechner muss für einen zuverlässigen Fernbetrieb natürlich sieben Tage die Woche 24 Stunden einsatzbereit sein. Entsprechende Einstellungen finden Sie in allen Betriebssystemen in den Energieoptionen – normalerweise ist hier die Voreinstellung aber ausreichend.
VNC-Server unter MacOS einrichten
Nun kommt der etwas komplexere Teil: Sie müssen einen VNC-Server für den Fernzugriff auf dem Mac oder PC einrichten. Bei MacOS ist VNC praktischerweise bereits an Bord: Sie müssen nur in den Einstellungen im Punkt „Freigaben“ den Haken bei „Bildschirmfreigabe“ setzen und Zufriff für alle oder bestimmte Benutzer erlauben. Anschließend müssen Sie nur noch auf dem iPad den VNC Viewer installieren und wählen sie in der App „Bonjour“: Der Mac taucht in der Liste auf und Sie können sich mit einem Klick verbinden. Voilà: Sie benutzen MacOS auf dem iPad.
VNC-Server unter Windows
Unter Windows gestaltet sich die Einrichtung etwas komplexer: Windows besitzt keinen eingebauten VNC-Server, daher müssen Sie ein Programm wie TightVNC installieren. Falls Sie einen Rechner haben, bei dem die automatische Anmeldung aktiviert, also kein Passwort für den Login vorhanden ist, empfehlen wir dringend, den VNC-Server mit einem Passwort zu schützen. Anschließend können Sie den Windows-PC mit der VNC-Viewer-App des iPads über die IP-Adresse des Rechners erreichen. Welche das ist, können Sie zum Beispiel in Ihrem Router oder in Windows selbst über die Eingabeaufforderung und den Befehl „ipconfig“ herausfinden.
VNC-Server unter Linux einrichten
Natürlich können auch Linux-Systeme per VNC ferngesteuert werden: Hierzu ist ebenfalls ein VNC-Server notwendig. Für Linux bietet sich der zum VNC-Viewer passende Server von RealVNC an: Dieser ist übrigens auch für Windows und MacOS erhältlich. Nach der Installation können Sie auch hier vom iPad aus den Rechner mit Hilfe der IP-Adresse in der App VNC-Viewer fernsteuern. Die IP-Adresse im Netzwerk können Sie unter Linux in einem Terminal-Fenster mit dem Befehl „ifconfig“ herausfinden.
Die richtigen Router-Einstellungen setzen
Natürlich kann VNC auch über das Internet verwendet werden. Hier ist es ausgesprochen sinnvoll, nicht die Router-Ports freizugeben, sondern stattdessen auf ein virtuelles privates Netzwerk (VPN) zu setzen: Dieses erlaubt den Zugriff auf Ihren Rechner über das Internet mit einer verschlüsselten Verbindung und sorgt gleichzeitig dafür, dass Ihr Netzwerk für Sie überall auf der Welt gleich aufgebaut ist – egal, welches WLAN- oder Mobilfunknetz Sie unterwegs nutzen. Und ohne Ihr Netzwerk unnötig gegenüber den Millionen möglichen Angreifern im Netz zu exponieren.
Ein VPN können Sie auf Ihrem Router einrichten: Die beliebte Fritz!Box von AVM bietet eine entsprechende Option, mit der Sie ganz leicht eine VPN-Verbindung einrichten können. Wenn Sie sich nun außerhalb Ihres heimischen Netzwerks bewegen, müssen Sie das iPad zunächst mit dem VPN Ihres Heimnetzwerks verbinden. Anschließend können Sie RealVNC starten und die zuvor eingerichteten Verbindungen zu PCs, Macs oder virtuellen Maschinen ganz einfach nutzen, als wären Windows, Linux oder MacOS auf Ihrem iPad installiert.
Mehr Komfort mit Parallels Access
Falls Sie Parallels verwenden, haben Sie noch eine weitere Möglichkeit: Das Tool Parallels Access erlaubt den komfortablen Fernzugriff auf den Mac: Zunächst müssen Sie die App auf dem iPad und den Server auf dem Mac installieren. Der Vorteil von Parallels Access: Da der Dienst über das Parallels-Konto läuft, spielt es keine Rolle, wo Sie sich befinden – Sie müssen sich also nicht mit Freigaben in Ihrem Router beschäftigten oder ein VPN aufsetzen, wenn Sie unterwegs auf Ihren Mac zugreifen wollen.
Parallels Access ist eine reine Remote-Desktop-Lösung, allerdings können natürlich auch auf dem Mac installierte Virtuelle Maschinen verwendet oder eingebunden werden: Dazu muss nur innerhalb der VM der Server laufen und Parallels natürlich aktiviert sein. Die VM sollte außerdem eine eigene Netzwerk-Adresse („Bridged Network“) erhalten.
Fazit: Windows, MacOS und Linux auf dem iPad sind kein Problem
Doch egal ob als Remote-Lösung oder nativ über einen Emulator oder eine virtuelle Maschine: Zusätzliche Betriebssysteme wie Windows, MacOS oder Linux können problemlos auf dem iPad verwendet werden, wenn zuvor einige Handgriffe zur Einrichtung durchgeführt werden. Natürlich ersetzt keine der Lösungen ein „echtes“ Windows auf dem iPad, wie es etwa mit Parallels auf dem Mac möglich ist. Doch die App UTM liefert letztlich das gleiche. Wer weniger braucht, ist mit der App iSH oder einem einfachen Remote-Desktop ebenfalls gut beraten.