Eine Corona-Mutation schockt Europa. Deutschland reagiert sehr schnell und kappt die Flugverbindungen zu Großbritannien. Zu einem gemeinsamen Vorgehen kann sich die EU aber zunächst nicht durchringen.
London/Berlin (dpa) - Die in Großbritannien entdeckte neue Variante des Coronavirus isoliert das Land zunehmend.
Die meisten europäischen Länder stoppten die Einreise aus dem Königreich, um die Verbreitung der von den Briten als besonders aggressiv eingestuften Mutation zu unterbinden - darunter auch Deutschland. Weitere Länder wollen am Dienstag folgen. Einzelne Mitglieder des grenzkontrollfreien Schengen-Raums wie Griechenland und Island trafen zunächst aber noch keine Entscheidung. Auch die Fristen für den Einreisestopp sind sehr unterschiedlich: Sie liegen zwischen 48 Stunden und zwei Wochen.
In Deutschland dürfen bis zum 31. Dezember keine Flugzeuge aus Großbritannien mit Passagieren mehr landen. Die Bundesregierung war mit dieser Entscheidung am Sonntag innerhalb der EU vorangeschritten. Ein von ihr als EU-Präsidentschaft einberufenes Krisentreffen der Mitgliedstaaten blieb am Montag aber ohne konkrete Ergebnisse. Nach der mehrstündigen Sitzung hieß es, die Teilnehmer hätten Informationen über die bislang verhängten nationalen Maßnahmen ausgetauscht. Die EU-Kommission sei dann aufgefordert worden, Leitlinien für ein schnelles und koordiniertes Handeln vorzulegen. Das soll bis morgen geschehen, dann beraten die EU-Botschafter darüber.
Bundesaußenminister Heiko Maas sprach von einer "substanziell veränderten Gefährdungseinschätzung" in Großbritannien. Er betonte, wie wichtig eine gemeinsame Reaktion der Europäischen Union sei. Nur so könne verhindert werden, dass ein Einreisestopp über andere EU-Mitgliedstaaten umgangen wird. Innerhalb des Schengen-Raums, dem die meisten EU-Staaten angehören, sind die Grenzen während der zweiten Corona-Welle weitgehend offen geblieben. Das heißt, die Einreise von Großbritannien nach Deutschland über ein EU-Land ohne Einreisesperre wäre problemlos möglich.
Einzelne Fälle der Mutation sind bereits in der EU aufgetreten, in Dänemark sind bisher neun Fälle bekannt. Schweden machte deswegen seine Grenze zu dem Nachbarland dicht, auch die Türkei verhängte einen Einreisestopp für das skandinavische Land. Deutschland, das ebenfalls an Dänemark grenzt, ergriff zunächst keine entsprechenden Maßnahmen.
Die in Großbritannien entdeckte Mutation ist nach ersten Erkenntnissen britischer Wissenschaftler um bis zu 70 Prozent ansteckender als die bisher bekannte Form sein könnte. Premierminister Boris Johnson hatte betont, es gebe aber keine Hinweise darauf, dass Impfstoffe gegen die Mutation weniger effektiv seien. Die Form breitet sich vor allem in London und Südostengland rasant aus.
Weltärztepräsident Frank Ulrich Montgomery bezweifelte die britischen Aussagen zu der neuen Corona-Variante. "Man sollte alle Angaben von Herrn Johnson mit außerordentlicher Vorsicht behandeln", sagte er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND/Dienstag). "Wenn die Aussage dennoch stimmen sollte, bedeutet sie auch nur, dass unsere Schutzmaßnahmen um 70 Prozent wichtiger werden." Montgomery betonte, dass die Wirksamkeit der Impfungen nicht unbedingt beeinträchtigt werde.
Auch Biontech-Chef Ugur Sahin zeigte sich zuversichtlich, dass der Impfstoff seiner Firma bei der neuen Virus-Variante wirken werde. Bisher habe man bei keiner der untersuchten Mutationen festgestellt, dass die Wirksamheit des Vakzins beeinträchtigt gewesen sei, sagte er am Abend bei "Bild Live". Die Wahrscheinlichkeit sei hoch, dass es auch bei der neuen Variante funktionieren werde. Dies werde man in den nächsten 14 Tagen testen.
Auch in Südafrika ist eine aggressive Virus-Variante aufgetaucht. Die Flugverbindungen von dort nach Deutschland sind aber noch nicht gekappt worden. Die Bundesregierung plant allerdings eine entsprechende Verordnung. Zunächst gingen aber noch Flüge von dort nach Deutschland. Die Frage nach einer Rückholaktion wie im Frühjahr, als Zehntausende deutsche Touristen in einer beispiellosen Aktion aus Dutzenden Ländern ausgeflogen wurden, stelle sich deshalb aktuell nicht, sagte eine Sprecherin des Auswärtigen Amts. Die in Großbritannien festsitzenden Deutschen müssten sich allerdings auf "erhebliche Einschränkungen" einstellen. "Wir empfehlen Betroffenen, nach Möglichkeit vor Ort zu bleiben und die Lage zu beobachten."
Von den am Sonntag auf dem Hamburger Flughafen eingetroffenen Passagieren aus Großbritannien wurden sieben positiv auf das Coronavirus getestet. Bei einem Fluggast in Hannover hat sich ebenfalls eine Infektion bestätigt. Weitere Labortests sollten nun klären, ob die Passagiere sich mit der neuen, möglicherweise besonders ansteckenden Virus-Variante infiziert haben, teilte die Region Hannover mit. Anders als in Hamburg mussten am Flughafen Hannover die 62 Passagiere aus London in einem Terminal übernachten.
Die Lufthansa fliegt weiter Passagiere nach Großbritannien, kehrt aber ohne Reisende zurück. Die Maschinen flögen abgesehen von der Crew leer wieder nach Deutschland, sagte ein Sprecher der Airline. Gestrichen seien Verbindungen, bei denen die Besatzung in Großbritannien übernachten müsste. Am Montag würden sieben Flüge in das Land durchgeführt.
Die härtesten Maßnahmen wegen der neuen Mutation ergriff Israel. Das Corona-Kabinett entschied am Montag, Ausländern aus allen Ländern die Einreise zu verbieten. Regierungschef Benjamin Netanjahu sagte, es gebe Ausnahmen von dieser Regel, wie etwa bei Diplomaten. "Wir haben eine neue Epidemie mit einem Virus, dessen Eigenschaften wir nicht genau kennen", sagte der 71-Jährige zu der Entscheidung. "Diese Mutation könnte auch Corona 2 sein."