Der Prozess um dem Mord am nordhessischen Regierungspräsidenten Walter Lübcke läuft. Der erste Prozesstag in Frankfurt verläuft zäh. Das liegt vor allem an den Verteidigern der beiden Angeklagten.
Frankfurt/Kassel (dpa) - Trotz juristischer Scharmützel hat in Frankfurt der Prozess gegen den mutmaßlichen Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke begonnen.
Zum Auftakt vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts stellten die Verteidiger des Hauptverdächtigen Stephan Ernst und des wegen Beihilfe zum Mord angeklagten Markus H. am Dienstag zahlreiche Anträge - darunter einen Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter Thomas Sagebiel. Doch der drückte aufs Tempo: "Wir werden darüber zu gegebener Zeit entscheiden", sagte er.
Der Prozess startete wegen der Corona-Pandemie und seiner großen Bedeutung mit hohen Sicherheitsauflagen. Aufgrund der Corona-Beschränkungen und dem großen medialen Interesse bildete sich bereits in der Nacht eine lange Schlange vor dem Gerichtsgebäude.
Angeklagt als mutmaßlicher Haupttäter ist der 46 Jahre alte Stephan Ernst. Er soll den CDU-Politiker vor einem Jahr auf dessen Terrasse in Nordhessen erschossen haben. Die Bundesanwaltschaft sieht bei Ernst eine "von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit getragene völkisch-nationalistische Grundhaltung" als Motiv.
Nach seiner Festnahme hatte der 46-Jährige ein Geständnis abgelegt, das er aber später widerrief. Im Januar sagte er erneut aus und änderte seine ersten Angaben. Im Gerichtssaal trat Ernst im Anzug mit weißem Hemd auf und verzichtete darauf, sein Gesicht hinter einem Aktenordner vor den Fotografen zu verstecken.
Mitangeklagt wegen Beihilfe zum Mord ist der 44 Jahre alte Markus H. Er soll unter anderem den Kauf der späteren Tatwaffe vermittelt haben. Stephan Ernst wird zudem ein Angriff auf einen irakischen Asylbewerber im Januar 2016 vorgeworfen. Das Opfer wurde bei einem Messerangriff erheblich verletzt.
Vor Gericht trat der junge Iraker als Nebenkläger auf, ebenso die Familie von Walter Lübcke. Ehefrau Irmgard Braun-Lübcke und ihre Söhne Christoph und Jan-Hendrik Lübcke erlebten einen schwierigen Prozessauftakt: Durch die vielen Anträge drehte sich die Verhandlung zunächst hauptsächlich um die Belange der Angeklagten: Sie hätten keine Chance auf einen fairen Prozess, so der Tenor der Verteidiger. Die Akten - rund 90.000 Seiten - seien zu umfangreich, die Einarbeitungszeit zu kurz gewesen.
Für Aufsehen und den Misstrauensantrag sorgte dann Mustafa Kaplan, der Anwalt des Hauptverdächtigen. Er nahm die zweite Pflichtverteidigerin von H., Nicole Schneiders, ins Visier: Weil sie den früheren Anwalt des Hauptverdächtigen Stephan Ernst in einem Ermittlungsverfahren vertreten hatte, habe sie Informationen zum Nachteil von Ernst. Der Richter habe sie trotzdem als zweite Pflichtverteidigerin von H. zugelassen - was ein faires Verfahren für Ernst unmöglich mache, so die Kritik Kaplans.
Der Vertreter der Generalbundesanwaltschaft antwortete knapp: Die Anträge seien aus seiner Sicht allesamt zurückzuweisen. Der Rechtsanwalt der Familie Lübcke, Holger Matt, sagte, es sei schwer ertragbar, den heutigen Vormittag als Beginn der Hauptversammlung zu sehen: "Hier wird im Teich rechtsstaatlicher Prinzipien gefischt, ohne dass eine Verletzung dieser Prinzipien erkennbar ist", erklärt er zu den Anträgen. Nach einer Sitzungspause lehnte der Senat einen Antrag ab und stellte die Entscheidung über die anderen Anträge zurück.
Die Anklage selbst bot wenig Überraschungen, aber neue Details. Die Ankläger stellten Ernst und H. als Freunde dar, die in "völkisch-nationalistischer Vorstellung" geeint gewesen seien. Ausgangspunkt für den späteren Mord soll die Bürgerversammlung im nordhessischen Lohfelden im Jahr 2015 gewesen sein, bei der Ernst und H. anwesend waren. Lübcke verteidigte dabei die Aufnahme von Flüchtlingen. Schmährufe aus dem Publikum konterte er: "Da muss man für Werte eintreten, und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist, das ist die Freiheit eines jeden Deutschen." Diese Aussage habe Ernst damals so erzürnt, dass er "beinahe die Fassung verlor".
Den Mord habe er jahrelang sorgfältig geplant und schließlich in der Nacht zum 2. Juni den CDU-Politiker erschossen. In die konkreten Anschlagspläne sei H. nicht eingeweiht gewesen - er habe aber mit Ernst Schießen geübt und billigend in Kauf genommen, dass dieser einen Politiker töte.
Richter Sagebiel appellierte an die Angeklagten, sich zu den Vorwürfen zu äußern: "Hören Sie nicht auf Ihre Verteidigung, hören Sie auf mich", sagt der Richter. Ein frühzeitiges und von Reue getragenes Geständnis helfe immer. Dazu kam es aber nicht.
Während die Anwälte von Stephan Ernst eine Äußerung zu einem späteren Zeitpunkt nicht ausschlossen, nutzte der Anwalt von H., Björn Clemens, das Eingangsstatement im Namen seines Mandanten für Kritik: Es liege der Verdacht nahe, dass der Generalbundesanwalt ein politisches Signal gegen rechts anstrebe statt die Aufklärung von Straftaten. Der Prozess wird am Donnerstag fortgesetzt.