Mercedes-Teamchef Toto Wolff will erst ein paar Rennen abwarten, bevor die Fahrerwahl für das kommende Jahr getroffen wird. Eine frühzeitige Entscheidung, wie sie Ferrari und McLaren getroffen haben, sieht der Österreicher kritisch.
Nach dem Erdbeben auf dem Fahrermarkt, das durch die Trennung von Ferrari und Sebastian Vettel Mitte Mai ausgelöst wurde, warten nun alle auf die Entscheidung von Mercedes. Beim Silberpfeil-Team gibt es noch gar keine fixen Verträge für die kommende Saison. Und das wird wohl auch noch eine Weile so bleiben, wie Teamchef Toto Wolff in einer Video-Konferenz mit der deutschen Presse verriet.
"Ich möchte mir selbst nicht ein zu enges Korsett schaffen, was das Timing angeht", erklärte der 48-Jährige zur anstehenden Fahrerfrage. "Wir wollen jetzt erstmal die Saison beginnen und beide Fahrer frei drauflos fahren lassen. Dazu wollen wir sehen, wie sich George (Russell) präsentiert. Im Laufe des Sommers wollen wir dann diese Entscheidung treffen."
Viele deutsche Fans hoffen natürlich, dass auch Sebastian Vettel die Chance bekommt, in einem Mercedes um den WM-Titel zu fahren. Das Duell gegen Lewis Hamilton mit vergleichbaren Waffen wäre für die gesamte Formel 1 eine große Attraktion. Wolff gibt zu, dass der Respekt vor Vettel groß ist.
"Sebastian ist natürlich eine tolle Persönlichkeit und mit vier Weltmeistertiteln auch einer der herausragenden Fahrer seiner Generation", lobt der Silberpfeil-Teamchef. "Er ist ein Außenseiterkandidat für ein Cockpit bei Mercedes. Wir schauen aber zuallererst natürlich auf unseren eigenen Mercedes-Kader. Vom Talent und von der Persönlichkeit würde ich aber auf keinen Fall direkt nein zu Sebastian sagen."
Ferrari-Taktik mit Risiko
Die Ereignisse bei Ferrari in den vergangenen Monaten hatten nicht nur die Formel-1-Welt erschüttert. Auch Wolff zeigte sich ein wenig überrascht über die Entscheidungen, die in Maranello getroffen wurden. Das begann schon mit der Vertragsverlängerung mit Charles Leclerc bis 2024, die im Dezember verkündet wurde, und endete mit der frühzeitigen Verpflichtung von Carlos Sainz.
"Das war alles ungewöhnlich", kommentierte Wolff die Scuderia-Entscheidungen trocken. "Die Verlängerung mit Charles um fünf Jahre war relativ lange. Das ist eigentlich nicht üblich, selbst wenn man ihn natürlich zu den außergewöhnlichen Piloten zählen muss."
Die Trennung von Sebastian Vettel habe er dagegen kommen sehen, wenn wohl auch nicht zu solch einem frühen Zeitpunkt: "Irgendwie haben wir das schon gespürt, dass die Stimmung zwischen Sebastian und dem Team nicht so gut war. Aber dass man die neue Fahrerpaarung schon vor der Saison bekanntgibt, genau wie bei McLaren, das ist etwas, das wir nicht machen würden."
Vettel hat nichts mehr zu verlieren
Der langjährige Mercedes-Motorsportchef erklärt, warum eine vorschnelle Fahrerwahl bzw. eine frühzeitige Trennung auch nach hinten losgehen kann: "Du musst dann mit einem Fahrer wie Carlos (Sainz) arbeiten, das Auto weiterentwickeln und Geheimnisse teilen, von dem Du weißt, dass er im kommenden Jahr woanders fahren wird", gibt Wolff zu Bedenken.
Auf die Stimmung im Team und das Fairplay zwischen den Piloten kann es ebenfalls negative Auswirkungen haben: "Du brauchst beide Autos, die Punkte sammeln. Wenn beide Fahrer auf einem Level sind, werden sie beide auch auf dem gleichen Fleck der Strecke unterwegs sein. Da hat dann vielleicht der ein oder andere Fahrer nichts mehr zu verlieren, weil er keine Zukunft im Team hat. Wir hätten es anders gemacht. Aber ich möchte kein Urteil fällen, ob das richtig oder falsch ist."
Auch eine Taktik mit einem klaren Nummer-eins-Piloten und einer klaren Nummer Zwei käme für Mercedes nicht in Frage: "Bei uns haben beide Fahrer zu Beginn des Jahres immer die gleichen Möglichkeiten. Mit Valtteri war das letztes Jahr ziemlich lange ausgeglichen. Wir wollen immer beiden die Möglichkeit bieten, um den WM-Titel zu fahren."
Dass sich Sainz bei Ferrari schnell zum Wasserträger degradieren lässt, kann sich Wolff nicht vorstellen: "Ich glaube nicht, dass Carlos zu Ferrari geht und sich denkt: 'Ich bin dort jetzt die zweite Geige'. Und auch der junge Albon wird sich bei Red Bull einen Namen machen wollen. Man darf sich nie einbilden, dass eine Nummer-1-Nummer-2-Situation funktioniert, weil jeder Rennfahrer die Ambitionen hat zu gewinnen."