SAP ist eines der wenigen deutschen Technologieunternehmen von Weltrang. Doch Kunden sind unzufrieden, im Vorstand gab es zuletzt ein ständiges Kommen und Gehen. Nun muss der junge Vorstandschef aufräumen - und der übermächtige Mitgründer weist den Weg.
Walldorf (dpa) - Europas größter Softwarehersteller SAP will seine Probleme entschlossener anpacken.
Zuvorderst steht dem jungen Vorstandschef Christian Klein neben der Corona-Krise die Mammutaufgabe ins Haus, die Kunden wieder zufriedenzustellen und den Flickenteppich aus vielen Produkten zu einem großen Ganzen zu formen. Aufsichtsratschef und Mitgründer Hasso Plattner gab rund um die Hauptversammlung am Mittwoch die Linie vor: Vor allem die für viele Milliarden zugekauften Cloud-Firmen in den USA werden wohl künftig eine härtere Linie aus der Walldorfer Zentrale zu spüren bekommen. Zudem will Plattner entgegen bisheriger Pläne auch nach 2022 Oberkontrolleur bleiben.
Dem tatkräftigen 76-Jährigen geht das Umsteuern des Dax-Schwergewichts aktuell - auch in der Covid-19-Krise - nicht schnell genug. Die im Oktober berufene Doppelspitze im Vorstand hätte den Konzern eigentlich gemeinsam umbauen und die Kunden wieder stärker in den Fokus nehmen sollen. "Doch die Diskussionen um die Strategie der SAP sind seit Jahresbeginn langsamer vorangekommen als gedacht", sagte Plattner in einer Videobotschaft an die Aktionäre.
Kurzerhand löste er die Doppelspitze im April wieder auf, mit Jennifer Morgan fiel dem auch die erste Frau an der Spitze eines Dax-Konzerns zum Opfer. Die Krise erhöhe den Druck für Unternehmen, schnell zu entscheiden, sagte Plattner. "Und wir können es uns nicht leisten, uns durch interne Differenzen zu lähmen." Morgan bekam eine Abfindung von 15 Millionen Euro für ihr vorzeitiges Ausscheiden, wie Aufsichtsratsmitglied Friederike Rotsch sagte, die stellvertretend für Plattner die Online-Hauptversammlung leitete.
Auch gegen Ex-Vorstandschef Bill McDermott und seine Strategie der losen Einbindung von Zukäufen teilte Plattner schon vorab in einem Interview mit dem "Handelsblatt" aus. "Die Idee, alle einfach selbstständig und eigenverantwortlich laufen zu lassen, mag wirtschaftlich sogar noch Sinn gemacht haben", sagte Plattner dem Blatt. "Technologisch haben wir trotzdem nicht die richtige Entscheidung getroffen." Das habe Zeit gekostet und den Konzern auch mental zurückgeworfen. "Die Integration, die funktioniert bei SAP immer noch nicht komplett", monierte Plattner.
"Die hohe Personalfluktuation im Topmanagement erfolgt in Zeiten eines strategischen Umbruchs und während einer weltweiten Wirtschaftskrise", kritisierte Experte Ingo Speich vom Sparkassenfondsanbieter Deka in einem Statement. SAP brauche eine starke und enge Führung in der Krise. Portfoliomanager Markus Golinski von Union Investment mahnte ebenfalls ein Ende von "Unsicherheit und Unruhe" an. Auch ein Riese könne ins Wanken geraten, wenn der Aderlass zu groß sei.
Plattner gilt als Übervater im Konzern, sein Wort hat noch immer das höchste Gewicht in Walldorf. Er besitzt rund 6 Prozent der Aktien - ein Gesamtpaket im Wert von aktuell fast 8 Milliarden Euro. Er ist der technologische Kopf hinter SAP und stieß etwa die Entwicklung der schnellen Datenbanksoftware Hana an, die mittlerweile als Arbeitspferd die meisten SAP-Programme unter der Haube antreibt.
Am meisten dürfte ihn nerven, dass die Kunden derzeit unzufrieden sind. Und das Eigengewächs Klein will das ändern. "Wir haben die Geduld unserer Kunden so manches Mal überstrapaziert", sagte der 40-jährige Chef in seiner Rede. "Das wissen wir - und das werden wir schleunigst wieder gutmachen." Mit seinem Plan zur Integration der vielen Einzelprodukte zu einem Angebot aus einem Guss sei der Konzern "auf einem sehr guten Weg".
Die wichtige Kundenorganisation DSAG hatte die fehlende Verzahnung von Programmen des Konzerns kritisiert. Zuletzt hatte SAP auch Probleme bei der Datensicherheit von Cloud-Anwendungen einräumen müssen. Der Konzern will nun unter anderem das Vergütungssystem für das Management stärker an der Kundenzufriedenheit ausrichten.
Plattner wird seinem Schützling Klein wohl länger als gedacht auf die Finger schauen. Eigentlich hatte Plattner sich vergangenes Jahr nur für eine dreijährige Amtszeit bis 2022 wählen lassen und wollte sich auf Nachfolgesuche begeben. Dafür werde er sich aber nun mehr Zeit nehmen, sagte er, die Corona-Pandemie habe ihn vorsichtiger gemacht.
Auch das muss Klein hinkriegen: Die Corona-Krise so zu meistern, dass die Mittelfristziele bei der Profitabilität 2023 nicht in Gefahr geraten. Derzeit rechnet SAP trotz eines gesenkten Ausblicks in der zweiten Jahreshälfte wieder mit Besserung. Was aber die Folgen einer zweiten großen Ansteckungswelle mit Lockdown in vielen Volkswirtschaften wären, wollte Finanzchef Luka Mucic nicht prophezeien. Dazu fehle dem Management die sprichwörtliche Glaskugel.