Derzeit wird diskutiert, ob im Zuge des Coronavirus die Bewegungsdaten von Smartphones ausgewertet werden sollen. Helmut Spudich, ehemaliger Kommunikationschef bei Magenta, erklärt die Überlegungen.
Seit einigen Tagen wird kräftig diskutiert, ob in Deutschland die Smartphone-Bewegungsdaten von Menschen ausgewertet werden sollen, die sich mit dem Coronavirus infiziert haben. Auf der einen Seite könnte dies Ärzten und den Behörden ermöglichen, leichter betroffene Kontaktpersonen zu ermitteln. Auf der anderen Seite stehen Datenschutzbedenken.
Gespeicherte Standortdaten zu diesem Zweck auszuwerten hält die Telekom laut Nachfrage des IT-Portals Golem für "Unfug". "Es dauert bis zu 14 Tage von der Ansteckung bis zu den ersten Krankheitssymptomen. Niemand kann verlässlich sagen, mit wem er oder sie in dieser unauffällig verlaufenden Zeit Kontakt hatte, der möglicherweise weitere Infektionen verursachte - bis auf unser Handy", erklärt Helmut Spudich ("Der Spion in meiner Tasche"), Ex-Kommunikationschef bei Magenta (ehemals T-Mobile Austria), auf Anfrage von spot on news die Überlegungen. "Unsere Bewegungsdaten, möglicherweise in Verbindung mit zusätzlichen Daten wie Adressbuch oder Facebook, geben sehr genau Auskunft darüber, mit wem wir Kontakt hatten - natürlich nicht 100-prozentig, aber mit ungleich höherer Genauigkeit als unser Erinnerungsvermögen."
Es wäre machbar
Auf der technischen Seite sei "dieser Abgleich sicherlich nicht trivial, kommt in Ländern wie Italien sicherlich zu spät. Aber es ist eine Option, die moderne Technologie eröffnet", erzählt Spudich weiter. Ansatzweise sei eine derartige Überwachung durchaus umsetzbar, aber "im umfassenden Sinn nicht kurzfristig. Denn ein Tracking, dass etwa die Verbreitung einer Infektion eindämmen soll, funktioniert optimal nur bei Verbindung aller Datenquellen: Nebst Betreiberdaten sind das vor allem Google und Facebook. Deren Datensammlung ist enorm, stellt jede Vorratsdatensammlung in den Schatten. Aber abgesehen von rechtlichen Voraussetzungen müssten dazu erst die Instrumente für solche Big-Data-Analysen in Echtzeit geschaffen werden."
Spudich sieht das Ganze auch als Chance, "Klarheit herbeizuführen, ob unsere Gesellschaft diese Möglichkeit zu ihrem gesundheitlichen Schutz künftig nutzen will - und die Parameter, dafür, wie das umzusetzen wäre. Leider sagt uns die Wissenschaft: Die nächste Epidemie kommt bestimmt. Und um die geht es in dieser Diskussion, der jetzige Coronavirus ist da nur ein Beschleuniger".
"Ab wie vielen Tote sind wir bereit, solche Maßnahmen zu setzen?"
In Deutschland und Österreich gebe es laut Spudich eine "hohe Sensibilität über den Eingriff in unsere Privatsphäre, und die jetzigen Datenschutzbestimmungen würden ein solches Tracking wohl unmöglich machen. Allerdings sehen die Gesetze zur Eingrenzung von Epidemien bei Gefahr sehr weitreichende Eingriffe in unsere Grundrechte vor - denken Sie nur daran, dass die Versammlungsfreiheit beschnitten wird." Österreich hat am Sonntag etwa angekündigt, die Versammlungsfreiheit vorübergehend aufzuheben, wie Bundeskanzler Sebastian Kurz (33) bei Twitter mitgeteilt hat.
"Diese Gesetze haben die jetzigen digitalen Möglichkeiten noch nicht antizipiert, wir müssen darum diese Diskussion führen. Ab wie vielen Tote sind wir bereit, solche Maßnahmen zu setzen?", fragt Spudich. "Und wie sieht das Monitoring aus um sicherzustellen, dass diese Art der Rasterfahndung ausschließlich aus Gründen des Gesundheitsschutzes passiert, und nicht auch gleich für zufällig dabei entdeckte Kleinkriminalität wie Steuerhinterziehung genutzt wird?"
Würde ein mögliches Tracking nicht auch gegen die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) verstoßen, solange Nutzer ihre Einwilligung nicht freiwillig geben? "Die jetzige Rechtslage - allen voran auf Basis der DSGVO - würde [eine solche Bestimmung] wahrscheinlich kaum möglich machen. Allerdings geben wir vielen Diensten wie Google, dem wohl größten Sammler von Standortdaten, Einwilligungen zur Nutzung der Daten, die sehr weitreichend sein können", erzählt Spudich. "Mit Freiwilligkeit wäre jedoch Tracking von Infektionsverläufen nicht möglich: Denn eine infizierte Person, die ihre Zustimmung gibt, löst eine Suche nach Dutzenden, vielleicht hunderten Personen aus. Das funktioniert nur per Anordnung, nicht mit Freiwilligkeit."
Wie Waffenhandel
Die Bestimmung von Standorten eröffnet Smartphone-Nutzern viele praktische Möglichkeiten, aber mittlerweile sammelt laut Spudich fast jede App entsprechende Daten, "egal ob sie diese wirklich benötigen oder für ihre kommerziellen Zwecke verwerten, die nichts mit unserem Nutzen zu tun haben. Darum rate ich, den Zugriff von Apps auf Standortdaten so eng wie möglich zu halten. Aber mit den Daten wird weltweit gehandelt, und dieser Weitergabe stimmen wir laufend mit dem "OK" für ungelesene AGBs zu. Dieser Handel ist wie Waffenhandel - er muss nach Möglichkeit verboten werden, oder sehr strengen Auflagen unterliegen. Hier brauchen wir gesetzlichen Schutz."
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Studie: Viele Menschen begrüßen Gesundheits-Apps
Auch bei den Machern der Smartphones ist man sich dessen bewusst. Apple versicherte unter anderem im Zusammenhang mit der Auswertung von Gesundheitsdaten beispielsweise gerade erst, dass man Apps "kritisch überprüfe, um sicherzustellen, dass Datenquellen seriös sind und dass die Entwickler dieser Apps anerkannte Vertreter von Regierungsorganisationen, auf Gesundheit spezialisierter Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und medizinischer oder erzieherischer Institutionen" sind. Nur entsprechende Entwickler sollten demnach Apps, die etwas mit dem Coronavirus zu tun haben, überhaupt einreichen. Spiele-Apps mit COVID-19 als Thema seien grundsätzlich nicht erlaubt.
Das neue Buch "Der Spion in meiner Tasche: Was das Handy mit uns macht und wie wir es trotzdem benutzen können" (edition a) erscheint am 21. März und kann bereits vorbestellt werden. Spudich erklärt darin, in welchem Ausmaß moderne Handys Nutzer überwachen, zeigt aber auch auf, wie man sie trotzdem verwenden kann und sogar sollte.