Um gefährliche Infektionen rigoroser einzudämmen, besiegelt der Bundestag eine Impfpflicht gegen Masern. Der staatliche Druck soll dosiert eingesetzt werden. Nicht alle finden das aber gerechtfertigt.
Berlin (dpa) - Zum stärkeren Schutz vor hoch ansteckenden Masern kommt im neuen Jahr eine Impfpflicht für Kinder in Kitas und Schulen. Der Bundestag beschloss mit klarer Mehrheit ein Gesetz von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), das zum 1. März 2020 in Kraft treten soll.
Eltern müssen dann vor der Aufnahme nachweisen, dass ihre Kinder geimpft sind - für Kinder, die schon zur Kita oder in die Schule gehen, bis 31. Juli 2021. Bei Verstößen drohen bis zu 2500 Euro Bußgeld. Beschlossen wurden mit dem Gesetz außerdem auch mehr Unterstützung für Opfer von Vergewaltigungen und ein erweitertes Werbeverbot, um Jugendliche vor unnötigen Schönheits-OPs zu bewahren.
Spahn verteidigte die Impfpflicht, über die seit Jahren gestritten wird: "Masernschutz ist Kinderschutz." Die Erkrankung könne zu Lungen- und Gehirnentzündungen führen und tödliche Folgen haben. "Wenn jemand hier niest, der Masern hat, ist bis zu zwei Stunden danach durch die Tröpfchen in diesem Raum noch Ansteckungsgefahr", rief er in den Plenarsaal. Es gehe um besseren Schutz für die Schwächsten in der Gesellschaft.
In Westdeutschland kommt nun die erste Impfpflicht seit einer von 1874 gegen Pocken, wie Spahn erläuterte. Er verwies darauf, dass es in der DDR seit 1970 eine Masern-Impfpflicht gab. In namentlicher Abstimmung votierten nun 459 Abgeordnete für die neue Impfpflicht, 89 lehnten sie ab, 105 enthielten sich. Konkret geht es um Gemeinschaftseinrichtungen, in denen viele Menschen zusammenkommen.
Etwa in Kitas oder Schulen wird für Kinder, die mindestens ein Jahr alt sind, vor der Aufnahme ein Nachweis der beiden empfohlenen Impfungen Pflicht: per Impfausweis, dem gelben Untersuchungsheft oder einem ärztlichen Attest, wenn das Kind schon Masern hatte.
Geschieht das nicht, müssen die Einrichtungen das dem Gesundheitsamt melden. Das entscheidet über das weitere Vorgehen und kann am Ende Bußgelder bis zu 2500 Euro verhängen. Kitas dürfen ungeimpfte Kinder nicht mehr annehmen. Auch gegen die Einrichtungen können Bußgelder verhängt werden, wenn sie die Vorgaben nicht befolgen.
Greifen soll die Impfpflicht außerdem für Lehrkräfte und Erzieherinnen. Und auch für Personal in medizinischen Einrichtungen wie Krankenhäusern von Ärzten über Pfleger bis zu Küchen- und Reinigungskräften. Ebenfalls Pflicht werden Masern-Impfungen für Bewohner und Mitarbeiter in Asyl-Unterkünften.
Generell gilt: Pflicht wird der Impf-Nachweis, es geht nicht um Zwangs-Impfungen gegen den Willen von Betroffenen. Auch Ausnahmen werden festgelegt, zum Beispiel für Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht geimpft werden können. Außerdem für vor 1971 Geborene, die größtenteils immun sein dürften, weil sie die Masern höchstwahrscheinlich durchgemacht haben.
Um die Impflicht umzusetzen, dürfen künftig alle Ärzte impfen. Also Kinderärzte auch die Großeltern und Frauenärzte auch den Partner, wie Gesundheitsexpertin Sabine Dittmar (SPD) hervorhob. Außerdem sollen freiwillige Reihenimpfungen in Schulen erleichtert werden. Dabei lag bei Schuleingangsuntersuchungen die Impfquote laut Robert-Koch-Institut (RKI) bei der ersten Impfung 2017 bei rund 97 Prozent. Bei der zweiten Impfung waren es aber knapp 93 Prozent.
Um die Zirkulation der Erreger zu verhindern, ist bei mindestens 95 Prozent der Bevölkerung Immunität erforderlich, wie die Regierung erklärte. In diesem Jahr sind laut der Online-Datenbank des RKI in Deutschland bisher 501 Menschen an Masern erkrankt.
Spahn wandte sich scharf gegen Einwände kategorischer Impfgegner. Ihn irritierten Aussagen wie: Es tue Kindern ganz gut, mal Masern durchzumachen. "Wenn ich sowas höre, werde ich sauer." Er verteidigte auch, dass es keine Immunisierung nur gegen Masern gibt, sondern eine kombinierte Impfung auch gegen Mumps und Röteln. Im Bundestag lehnte die AfD die Pflicht strikt ab, wie der Abgeordnete Detlev Spangenberg sagte. Handlungsbedarf gebe es eher bei Erwachsenen um die 50.
Das Gesetz sieht daneben weitere Neuregelungen vor. So sollen Opfer von Vergewaltigungen eine "vertrauliche Spurensicherung" mit Untersuchungen etwa auf Sperma, K.o.-Tropfen oder Alkohol künftig bundesweit von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt bekommen.
Um Jugendliche stärker vor unnötigen Schönheitsoperationen zu bewahren, wird Werbung verboten, die sich an sie richtet - auch online. Wenn Patienten regelmäßig ein bestimmtes Arzneimittel brauchen, können Ärzte künftig ein "Wiederholungsrezept" ausstellen - damit kann ein Mittel bis zu dreimal wiederholt in der Apotheke abgeholt werden.