Es klingt verlockend: Flexibel, abwechslungsreich, von zu Hause. Viele Menschen verdienen als sogenannte Crowdworker mit Micro-Jobs im Internet ihr Geld. Rechtliche Regelungen gibt es kaum - doch jetzt wird das Crowdworking ein Fall für die Justiz.
München (dpa) - Neue Arbeitswelt: Viele Menschen verdienen ihr Geld mit Micro-Jobs im Internet. Sie testen Apps, fotografieren Supermarktregale, führen Umfragen durch, schreiben Interviews ab oder machen, was Firmen sonst nicht mehr selbst machen wollen.
Tagelöhner in einer digitalen Welt. Vermittelt werden die kleinen Jobs über Crowdworking-Plattformen. Offiziell sind die Crowdworker selbstständig. Aber stimmt das? Vor dem Landesarbeitsgericht München zweifelt ein Online-Micro-Jobber das an. Er klagt darauf, ein Angestellter der Internetfirma zu sein, die ihm die Jobs vermittelte.
Der 1967 geborene Mann machte unter anderem Fotos von Tankstellen und Märkten, um sie zur Überprüfung der jeweiligen Warenpräsentation weiterzuleiten - und verdiente in 20 Stunden pro Woche knapp 1800 Euro im Monat. Eine Crowdworking-Plattform hatte ihm den Job vermittelt. Als die Plattform die Zusammenarbeit mit ihm beenden wollte, zog er vor Gericht. Aus seiner Sicht bestand zwischen ihm und der Plattform ein unbefristetes Arbeitsverhältnis. Die beklagte Internetfirma hielt dagegen, der Kläger sei selbstständig und habe als Selbstständiger Aufträge übernommen.
Dieser Argumentation folgte das Arbeitsgericht München und wies die Klage ab. Dagegen legte der Crowdworker Rechtsmittel ein. Nun geht es in die nächste Instanz.
Laut dem "Crowdworking Monitor" des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) aus dem Jahr 2018 arbeiten rund 4,8 Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung in Deutschland als Crowdworker. "Und es ist zu erwarten, dass diese Zahl deutlich ansteigen wird", schreibt der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) in einem aktuellen Positionspapier zum Thema.
Rechtliche Regelungen dazu gibt es zum Leidwesen des DGB allerdings kaum. "Wir brauchen faire Regeln für Plattformarbeit", fordert der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann. "Denn hier wird die Digitalisierung in weiten Teilen missbraucht, um prekäre Arbeit zu organisieren." Das Problem ist aus seiner Sicht, "dass Plattformarbeiter oft als Selbstständige angeheuert werden, obwohl sie gar nicht unabhängig sind, sondern über Algorithmen gesteuert, überwacht und bewertet werden."
Mit selbstständiger Arbeit habe Plattformarbeit deshalb oft nichts zu tun. Hoffmann fordert: "Solche Geschäftsmodelle, bei denen Beschäftigte gezielt um Arbeitnehmerrechte und die soziale Absicherung gebracht werden, sollten politisch nicht länger geduldet werden."
Schon 2016 hieß es in den Beschlüssen des 71. Juristentages: "Crowdwork sollte im Sinne eines Mindestschutzes gesetzlich geregelt werden." Doch eine Regelung scheint nicht so einfach zu sein: In einem Gutachten für das BMAS - ebenfalls aus dem Jahr 2018 - schreibt der Arbeitsrechts-Professor Frank Bayreuther von der Universität Passau von einem "Dreiecksverhältnis zwischen Crowdsourcer, Plattform und Crowdworker". Die "rechtliche Kategorisierung" sei "außerordentlich schwer" - und bislang auch nur zögerlich in Angriff genommen worden.
Allerdings ist die Arbeitszufriedenheit von Crowdworkern laut "Monitor" des BMAS gar nicht so schlecht. Nur ein Teil von ihnen (23 Prozent) ist unzufrieden mit dem Gehalt. Denn was die Menschen damit verdienen, ist sehr unterschiedlich. Während 40 Prozent mehr als 1000 Euro brutto pro Woche verdienen, bekommt ein Drittel weniger als 100 Euro.
Sozialwissenschaftler vermuten, dass Crowdworker mit niedrigem oder ohne Bildungsabschluss eher kurzfristige, sogenannte Microtasks ausführen. Dazu gehöre die Kategorisierung von Bildern oder auch das Erstellen kurzer Produkttexte, sagt Martin Krzywdzinski vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Höher Qualifizierte sind eher in den Bereichen Beratung, Design oder Programmierung tätig. Gerade in diesem Bereich könnten die Einkommen durchaus auch höher sein, erklärt der Arbeitssoziologe.
Crowdworker sind meist eher jünger als der gesellschaftliche Durchschnitt. Sie sind im Schnitt gut gebildet und leben laut BMAS-Studie oft in Hamburg oder Berlin. Allerdings gibt es auch einen vergleichsweise hohen Anteil, die einen Hauptschul- oder gar keinen Abschluss haben. Für die meisten Crowdworker ist die Plattform-Arbeit nur einer von mehreren Jobs. 34 Prozent Deutschland arbeiten mehr als 30 Stunden pro Woche auf Plattformen, 24 Prozent sogar mehr als 40 Stunden.