Wohin sind die keimbelasteten Wurstwaren des nordhessischen Herstellers geliefert worden? Sind weitere Krankheitsfälle zu befürchten? Die Verbraucherorganisation Foodwatch macht Druck auf die Verantwortlichen.
Twistetal/Köln (dpa) - Nach zwei Todes- und mehreren Krankheitsfällen durch keimbelastete Wurst fordert die Organisation Foodwatch umgehende Konsequenzen zum Schutz der Verbraucher.
Die Behörden müssten umfangreich über die betroffenen Produkte aus der Herstellung des nordhessischen Betriebs und über die Verkaufsstellen informieren, sagte ein Sprecher der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. In den Produkten des Herstellers Wilke Waldecker Fleisch- und Wurstwaren GmbH & Co. KG aus Twistetal waren mehrfach Listerien-Keime nachgewiesen worden.
Das Krisenmanagement des Landkreises und des Regierungspräsidiums als zuständige Stellen sei katastrophal, kritisierte die Verbraucherorganisation. Hessens Umweltministerin Priska Hinz (Grüne) müsse deshalb den Fall an sich ziehen. Es wird damit gerechnet, dass sich das Wiesbadener Ministerium Anfang der neuen Woche zu dem Fall und der Kritik äußern wird.
Den Behörden zufolge gibt es mittlerweile 37 Krankheitsfälle, die möglicherweise mit Wurstwaren der Firma im Zusammenhang stehen. In Südhessen hatte es zwei Todesfälle bei älteren Personen gegeben, die das Robert-Koch-Institut (RKI) untersuchte.
Die Produktion wurde inzwischen gestoppt und der Rückruf aller Produkte weltweit angeordnet. Entgegen der Annahme der Behörden verkaufte Wilke unter fremdem Namen. Der Hersteller war schon länger im Fokus, bereits im März soll es einen bestätigten Listerienfund gegeben haben. Das Unternehmen hat nun die Eröffnung eines vorläufigen Insolvenzverfahrens beantragt.
Listerien sind in der Natur häufig vorkommende Bakterien. Nur sehr wenige Menschen, die Listerien aufnehmen, erkranken an der sogenannten Listeriose. Bei gesunden Erwachsenen verläuft die Infektionskrankheit meist unauffällig oder nimmt einen harmlosen Verlauf mit grippeähnlichen Symptomen. Gefährlich ist die Infektion für abwehrgeschwächte Menschen: Neugeborene, Alte, Patienten mit chronischen Erkrankungen, Transplantierte und Schwangere. Bei ihnen und bei Ungeborenen kann Listeriose zum Tod führen.
Nach Angaben des zuständigen Landkreises Waldeck-Frankenberg hat die Firma mittlerweile der Schnellwarnstelle beim Regierungspräsidium Darmstadt eine Liste der belieferten Betriebe zur Verfügung gestellt. Die Schnellwarnstelle habe diese europaweit an alle Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsbehörden verteilt, heißt es auf der Website des Landkreises mit Verwaltungssitz in Korbach. Weitere Details zu der Liste gab es nicht.
Der Landrat des Kreises Waldeck-Frankenberg, Reinhard Kubat, versicherte derweil, alles für die Aufklärung des Falls zu tun. "Wir bedauern die Vorfälle außerordentlich", erklärte der SPD-Politiker. "Die Kreisverwaltung und die ganze Region sind bestürzt und geschockt, dass Menschen durch die Zustände in einer in unserem Kreis ansässigen Firma zu Schaden gekommen sein sollen." Niemand habe ein größeres Interesse an umfänglichen Aufklärung als der Landkreis. Der Staatsanwaltschaft sicherte er jegliche Unterstützung zu.
Wegen des Feiertags am Donnerstag hatten die Behörden teilweise Schwierigkeiten, die betroffenen Händler zu erreichen. In Köln zum Beispiel erreichte die Stadt erst am Freitag alle betroffenen Großhändler - drei Tage nach der Schließung des nordhessischen Betriebs. "Wegen des Feiertags wurden vom Verbraucherschutzamt nicht alle Großhändler unmittelbar erreicht", teilte die Stadt Köln mit. Die Großhändler seien von der Stadt aufgefordert worden, "alle Abnehmer/Kunden der bereits ausgelieferten Ware zu benachrichtigen".
Die Pflicht, über einen Produktrückruf zu informieren, liege aber auch in erster Linie bei den Groß- und Zwischenhändlern selbst, erläuterte ein Sprecher des nordrhein-westfälischen Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (Lanuv). Aufgabe der Ämter sei es lediglich, zu kontrollieren, ob dieses System auch funktioniert. In 48 der 53 Kreise und kreisfreien Städte in Nordrhein-Westfalen seien Unternehmen bekannt, die Produkte des Herstellers Wilke bezogen hätten, teilte das NRW-Verbraucherschutzministerium auf Nachfrage mit.
Am Freitag hatte bereits die Kölner Uniklinik Fehler nach dem Rückruf eingeräumt. Einige Reha-Patienten hätten trotz des Rückrufs noch Wilke-Wurstwaren bekommen, hatte die Klinik mitgeteilt.
Wegen des möglichen Befalls mit Listerien hat der niederländische Wurstwarenbetrieb Offerman nach eigener Darstellung ebenfalls die gesamte Produktion der betroffenen Fabrik aus dem Handel genommen. Es gehe um alle in der Fabrik im niederländischen Aalsmeer seit September verschnittenen und verpackten Wurstwaren, teilte das Unternehmen mit. Die Produktion wurde am Donnerstag stillgelegt, nachdem die Keime entdeckt worden waren. Nach Angaben des niederländischen Gesundheitsministeriums werden nun insgesamt 300 000 Kilogramm Fleisch zurückgerufen.
Die Gesundheitsbehörden hatten zuvor festgestellt, dass in den vergangenen zwei Jahren drei Menschen durch Listerien in Wurstwaren dieser Firma gestorben waren. Eine Frau hatte eine Fehlgeburt erlitten. Daraufhin waren die Kontrollen verschärft worden. Bislang gibt es keinerlei Hinweise auf einen Zusammenhang zu dem Listerien-Fall in Deutschland. Nach Informationen der Aufsichtsbehörde für Nahrungsmittel wurden die betroffenen Produkte nicht nach Deutschland exportiert.
Auch in Spanien gab es in diesem Sommer einen größeren Listeriose-Ausbruch. Mindestens vier Tote und 216 Infizierte sollen nach Behördenangaben dabei gezählt worden sein und sieben Schwangere ihre ungeborenen Babys verloren haben. In Dänemark wurden wegen der Listerien-Funde in Deutschland laut der Lebensmittelaufsicht einige Würstchen zurückgerufen. In Italien gebe es den Rückruf einer Mortadella in einer Supermarktkette, teilte das Gesundheitsministerium mit.