Der Test eines Kollegen bei "Business Insider" mit negativem Ergebnis hat uns stutzig gemacht: Er hat deswegen sein nagelneues iPad Pro zurückgegeben.
”Darum habe ich Apples neues iPad Pro nach weniger als 24 Stunden zurückgegeben”, lautet die Überschrift für diesen Bericht bei "Business Insider".
Ein bisschen typisch für das Online-Magazin. Die Überschriften sind meistens etwas reißerisch und gleichzeitig so wenig sagend oder andeutend, dass man erst den Artikel aufrufen muss, bevor man weiß, worum es eigentlich wirklich geht. So verschafft man sich natürlich auch viele Klicks und potentielle Werbeeinnahmen. Aber das nur am Rande. Oft sind die Artikel schließlich wirklich interessant und aufschlussreich. Aber auch dieser?
iPad Pro kein Arbeitsgerät?
So behauptet der Autor Dave Smith (es handelt sich hier offensichtlich um eine Übersetzung aus dem amerikanischen Original), seines Zeichens Senior Tech Correspondent, dass er nach 24 Stunden festgestellt habe, mit dem neuen iPad Pro von 2018 und einer Bildschirmdiagonale von 11 Zoll nicht professionell arbeiten zu können, was für ihn bedeutet: Texte anfertigen und Bilder einfügen, sodass dies seinen Arbeits-Laptop (ein Macbook) hätte ersetzen können. Aber Fehlanzeige: für insgesamt 1300 US-Dollar (inklusive des neuen Apple Pencil, Smart Keyboard und AppleCare Plus) ist das neue iPad Pro seinem Empfinden nach nur ein besonders schickes und leistungsfähiges Spaßgerät. Denn richtig arbeiten könne man damit nicht.
Sätze auswählen in Pages und Word
So gelingt es Smith nicht, Wörter und Sätze zielgenau zu markieren. Immer, wenn er einen Satz auswählen wollte, schoss die Auswahl über den gewünschten Bereich hinaus, schreibt er, entweder über den Bildschirm, oder es wurden ganze Absätze hervorgehoben statt des einzelnen Satzes. Wir haben das nachgeprüft, sowohl mit Pages von Apple als auch mit Microsoft Word, also zwei üblichen Textverarbeitungen auch auf einem iPad Pro.
Zugegeben, wir haben für unseren Test das iPad Pro mit 10,5 Zoll von 2016 genutzt, aber auch dort läuft das aktuelle Betriebssystem iOS 12, sodass dies keinen Unterschied ausmachen dürfte. Wir hatten jedenfalls keinerlei Probleme mit der Auswahl, das zeigen auch unsere Screenshots. Leider teilt der Autor von "Business Insider" seinen Leser nicht mit, welche Programme genau er benutzt hat. Möglicherweise gibt es Apps, die für die Benutzung auf dem iPad Pro nicht optimiert sind, obwohl das für eine so triviale Funktion kaum zu glauben wäre. Zugegeben, mit Microsoft Word mussten wir die Auswahl etwas vorsichtiger treffen, tatsächlich kam es sonst leicht zu einem zu schnellen Markieren über mehrere Sätze hinweg.
Aber mit ein bisschen Feingefühl klappt es auch dort letztlich problemlos. Man muss sich ein wenig an den anderen Umgang im Vergleich zum Mac gewöhnen. Natürlich geht das mit Maus und Tastatur auf dem Desktop etwas leichter und präziser – aber am Ende ist das vor allem eine Frage der Übung und Vertrautheit damit. Noch schneller und komfortabler funktioniert die Bedienung mit dem neuen Apple Pencil 2. Die Erfahrungen damit haben wir hier skizziert.
Wie man Bilder in den Text einfügt
Doch Smith kritisiert auch das Multitasking auf dem iPad Pro. Apple beschreibt das Prozedere dafür hier. Als Beispiel nennt der BI-Autor eine Geschichte, die er für "Business Insider" schreibt und für die er dem Text Fotos hinzufügen will. Richtig ist seine Bemerkung, dass man im Vergleich zum Mac einen Schritt mehr machen muss, um ein Bild aus einem Browser zum Text hinzuzufügen. Man kann eben nicht so einfach zwischen den Programmen hin und her wecheln, besonders, wenn sie auf dem iPad nicht schon griffbereit im Dock liegen, um sie für weitere Aktionen nebeneinander zu legen (wie in Split View). Nach entsprechender Vorbereitung aber kann man das Dock auch beispielsweise aus Pages heraus mit dem Finger langsam nach oben ziehen und dort die gewünschte App in die Mitte bewegen, damit sich Slide Over oder Split View aktiviert, anschließend kann man das gewünschte Bild in unserem Test völlig problemlos in die Textdatei hineinziehen.
Fotos ohne Drag-and-drop
Umständlicher freilich ist es mit Apple Fotos. Hat man dort das Bild gespeichert und parkt die Apps nebeneinander, können wir aus Fotos heraus ein Bild nicht einfach per Drag-and-drop in den Text ziehen. Bei diesem Versuch blättert Fotos schlicht weiter zum nächsten Bild. Aber über die Teilen-Funktion kopieren wir das Bild und fügen es anschließend in den Text ein. Und das funktioniert insoweit tadellos. Es bleibt einzuräumen, dass dieses Prozedere komplizierter ist als auf einem Desktop-Computer. Vor allem der Mac ist in der Hinsicht in den meisten Fällen vorbildlich. Doch fehlerhaft arbeitet unser iPad Pro jedenfalls nicht.
Eine andere Option ist das Hinzufügen von Bildern in Pages über das große Plus-Symbol mit Zugriff auf Fotos und andere Speicherorte, etwa Ordner oder die Dropbox, in Word auf die Apple Fotos über den Menüpunkt ”Einfügen” – kein Problem.
Woran es liegt, dass beim Autor von "Business Insider" falsche Fotos eingefügt werden oder diese sich drehen, können wir nicht beurteilen. Wie gesagt, es mag an der benutzten App liegen oder an bestimmten Umständen, die er aber leider nicht mitteilt.
Fazit
Auch wir verwenden das iPad Pro nur in seltenen Fällen für das Erstellen von längeren Texten und das Einfügen von Bildern. Der Workflow auf dem iPad ist für solche Zwecke nach wie vor umständlicher, besonders, wenn mehrere Apps im Spiel sind. Doch es funktioniert prinzipiell, noch leichter sicherlich, wenn man eine passende externe Tastatur hinzuzieht, die manche Features wie den schnellen Wechsel von Apps simuliert. Vom Apple Pencil haben fraglos vor allem Künstler oder Architekten und vergleichbare Berufe am meisten, für die diese Möglichkeit auch am ehesten gedacht ist.
Deswegen können wir uns der negativen Beurteilung von "Business Insider" keineswegs anschließen: ”Das iPad Pro ist im Grunde eine Einladung, Geld für ein luxuriöses iPad-Erlebnis auszugeben — Spaß, ja sicher, aber es ist kein Computer, mit dem ihr arbeiten könnt.” Doch, man kann, wenn man bereit ist, mit ein paar Einschränkungen, Besonderheiten und Kompromissen zu leben und andere Vorteile wie etwa die maximale Mobilität und Unmittelbarkeit zum Gerät zu genießen.
Selbstverständlich könnte Apple darüber nachdenken, seine Pro-Geräte mit der Zeit auch für externe Datenspeicher oder sogar eine Maus zu öffnen. Die Option zumindest hätte man manchmal vielleicht gern. Unbedingt nötig ist sie für die Arbeit auf und mit dem iPad Pro aber nicht.